Philosophie

Läge Berlin am Meer

... und hätte weiße, weite Sandstrände, dann würde man ziemlich sicher sein, dass Evelyn Klam, die in ihrem Atelier aufbewahrten Gefäße nur dort gefunden haben kann. Es sind Kunstwerke aus Ton, die aus der im Meer verschwundenen Stadt Atlantis oder eben dem nördlicheren Vineta ans Land gespült sein könnten.

Die Arbeiten der Berliner Keramikerin scheinen nicht zum formstrengen Berlin zu gehören, auch kaum in die sich auf Minimalismus orientierende Gegenwart. Oder doch: schaumgeborene Schalen auf Stein, auf Sand, auf weißem Holz!

Evelyn Klams Gefäße sind Unikate. Sie sind poetische Erfindungen voller optischer und haptischer Reize. Mal erinnern die Arbeiten an archaische Funde, an Bruchstücke, ein anderes Mal an kostbare Früchte. Dabei sind Phantasie und Spiellust der Keramikerin von keinem Konzept, von keinem Kalkül begrenzt. So künden die entstandenen Dinge vom Wert des Unvernünftigen. Dies allein schon im Hinblick auf die Herstellung. Gefäße und Objekte entstehen in einem aufwändigen Prozess. Geformte und gedrehte Teile werden reich andekoriert. Sie erhalten zum Teil eine komplette zweite Haut aus unzähligen Pocken und Knospen. Schönheit und Widerborstigkeit befinden sich in spannungsvoller Balance. Gold und Platin geben Glanz und unterstützen die feierliche Weltentrücktheit.

Dieses verwirrende Nicht-Maßhalten gehört in die Ästhetik der Postmoderne und steht so ganz und gar im Widerspruch zu der strengen Organisiertheit, zum absolut Überschaubaren ihrer Werkstatt. Evelyn Klam sagt selbst, dass „alles was rundherum passiert“ irrelevant sei. Im Schaffen ist die Welt ausgeblendet, und verborgene Innenwelten allein drängen zur Gestalt: Die Kindheit in der Lausitz, ein Leben mit der Natur, Wald, Garten, die Großmuttergeschichten, vor allem auch die Töpfer, die aus schweren Kiepen Keramik feilboten, gehören zum Erinnerungschatz der Berlinerin. Das ist ihre in der Tiefe bewahrte Traumwelt.

Ein Grundthema zieht sich durch die gesamten Schaffensphasen: immer geht es um ein Wachsen und Werden, um eine fast mythische Verarbeitung von Natur- und Lebenserfahrung.

Text: Anita Wünschmann, zitiert aus „Ein Porträt der Berliner Keramikerin Evelyn Klam“, Kunsthandwerk und Design, Ritterbach Verlag, Ausgabe Juli/August 2003